Re:publica 14 / 8. Mai 2014, 13.45 Uhr
Aufstand der Wissensarbeiter. Eine Beamtenbeleidigung.
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Beitrag von Wolf Lotter
- es gilt das gesprochene Wort -
Into the Wild – das bedeutet ja vor allen Dingen: Rein ins Unbekannte. Also zu lernen, mit etwas umzugehen, das man nicht kennt. Das Wilde lässt sich nicht denken, und deshalb macht es Angst. Das Wilde und das Neue sind damit letztlich ein- und dasselbe.
Das Neue ist auch wild, ungezähmt,
frei.
Wissensarbeit ist eine wilde Sache. Und die
Wissensgesellschaft, also die Zeit, die die Industriegesellschaft heute ablöst,
eine insgesamt wilde Angelegenheit.
Wer das Neue und das Wilde, das Unberechenbare,
nicht leiden kann, der kämpft heute gegen diese Veränderung. Denn wild, das
heißt immer auch: Unsicher.
Die herrschende Kultur fordert exakt das
Gegenteil: Sicherheit und Berechenbarkeit, ganz gleich, worum es auch geht. Das
verhindert zuverlässig jede Entdeckung.
Die Industriegesellschaft liebte immer den Plan und die
Zuverlässigkeit. Was
jetzt kommt, macht ihr zutiefst Angst. Darum versinken wir in einem neuen
Biedermeier, in dem alles, was nicht kontrolliert, gezähmt und gesichert ist,
als Hochsicherheitsrisiko gilt.
Wir leben in feigen Zeiten. Aber wer nichts
wagt, gewinnt nichts. Das ist und bleibt so. Wissen kostet eine ganze Menge, unsere Scheingewissheiten, den Aberglauben, das schnelle
Vorurteil.
Die Wissensgesellschaft ist eine offene, aber nüchterne Gesellschaft. Sie
hat keine Angst vor dem Wilden, weil sie weiß, dass das Unbekannte nur solange
gefährlich ist, als wir es vor lauter Angst, es könnte uns schaden, nicht
begreifen wollen. Von der Angst, etwas zu verstehen, handelt fast jedes
Verbot.
Und wer Regeln sagt, meint sehr oft eben genau
das: Verbieten, vermeiden. Wissen und seine Wildheit erst gar nicht
reinlassen. So halten es Religionen, Parteien, Vorurteilsgemeinschaften aller
Art.
Dem großen Ökonomen Joseph Schumeter war die
Gleichsetzung des Wilden und des Wissens klar, als er seine unternehmerische
Grundregel von der schöpferischen Zerstörung formulierte.
Die wird heute aus ideologischen Gründen gerne
missverstanden. Dabei geht es in ihr nicht um Vernichtung, sondern um Kreation.
Schöpferische Zerstörung macht aus alt neu, es belohnt die, die nachdenken,
nachfragen, nachhaken. Es belohnt Wissensarbeit.
Okay. Aber kann das im Reality-Check bestehen?
Was hat all das mit der Welt zu tun, die wir
sehen, wenn wir die Tür aufmachen? Was ist da draußen vor der Tür? Die Welt
außerhalb der Re:publica also?
Ganz bestimmt ist da keine Wissensgesellschaft.
Da draußen ist eine Gesellschaft, die nicht auf die Kraft des Wissens und des
Geistes und der Kreativität baut, sondern auf Muckis. Ja, genau das. Die
Industriegesellschaft, die heute noch alles fest im Griff hat im Land, ist eine
gewaltige Muckibude.
Und die Leute, die in ihr das Sagen haben, können
gar nichts anderes als ihre Muskeln spielen lassen.
Bereits relativ tief im 21. Jahrhundert bestimmt
nach wie vor der industrielle Mainstream unser Leben, mit einem
Fabrikskasernenton. Menschen sollen nicht kreativ sein, sondern gefälligst
parieren.
Sie sollen den Plan erfüllen. Sie sollen Regeln
befolgen, an deren Gestaltung sie nicht teilhaben. Die meisten Menschen da
draußen laufen morgens im Dunkeln in den Stau, um Abends im Stau nach Hause zu
kommen. Wir leben in einer Welt, die nach wie vor den Schichtbetrieb des
Dampfmaschinenzeitalters als Maßstab hat. So sehen unsere Städte aus, unsere
Straßen, unsere Häuser, einfach alles. Wir streiten übers
Renteneintrittsalter. Wann fangen wir an, über Talente und Fähigkeiten, ihre
Entwicklung zu streiten?
Diese Kultur schert sich um Wissen einen Dreck. Diese Kultur gibt die Abhängigkeiten, die sie
schafft, als Notwendigkeiten aus. Es sind Disziplinierungsmaßnahmen: Die
Industriegesellchaft hat das Abweichende und die Abweichenden immer
unterdrückt. Wo Wissen Macht schuf, wurde es rasch entmachtet und domestiziert.
„Die Menschen“, wie Politiker Bürgerinnen und
Bürger immer noch nennen, als wären sie selber Übermenschen, „die Menschen brauchen
Sicherheit und Führung“. Damit ist gemeint: „Die Menschen“ müssen gemanaged
werden. Das Menschenbild ist politisch: Einer muss das Primat haben und sagen,
wo es langgeht.
Manager sind leitende Angestellte. Der Berufsstand der
leitenden Angestellten entwickelte sich ja aus ehemaligen Gefängniswärtern, die
man in England für die damals neuen Fabriken engagierte. Ihr Job war es, undisziplinierte,
halbwilde Menschen aus der Agrargesellschaft zu Produktionsmitteln umzuformen.
Zu jenen Teilen der Maschine also, die noch nicht erfunden waren. Daran hat sich
bis heute nichts geändert.
Die Wissensgesellschaft aber wird von einer kreativen Ökonomie
angetrieben. Problemlösungen und Produkte entstehen in
tiefer Auseinandersetzung mit Individuen, und sie werden ständig verfeinert.
Sie schaffen eine hohe Vielfalt, eine immer größere Differenzierung. Wissen ist
für alle da – das ist keine Ironie, sondern die Grundformel der
Wissensökonomie. Jeder soll so viel wie möglich von dem kriegen, was ihm
persönlich entspricht – jeder nach seinen Fähigkeiten, jeder nach seinen
Bedürfnissen, hat das Karl Marx vor langer Zeit genannt.
Weder war von Arbeitslagern noch von Arbeitszwang die Rede.
Wie sieht die aktuelle Arbeitsethik eigentlich
aus, im Zeitalter der Transformation von der Industrie zur Wissensgesellschaft?
Was ist ehrliche Arbeit?
Fragen wir draußen mal nach: Ehrliche Arbeit
ist körperlich anstrengend. Sie muss weh tun. Im Schweiße Deines Angesichts
sollst Du Dein Brot verdienen. Wer sich nicht fertig macht, hat nichts
verdient.
In der Freizeit setzen wir diese Exzesse fort:
Jeder versucht, sich körperlich zu verausgaben. Sauerstoffmangel wird als
Bewusstseins-Erweiterung ausgegeben. Es geht um Auspowern, Anstrengung, um
Fleiß. Das ist übrigens das, was das lateinische Wort Industria bedeutet:
Fleiß.
Hier geht es nicht um Wildheit, um Abenteuer. Es geht darum, ein
guter Hamster im Rad zu sein. Es geht um Routinen, Wiederholung,
Gleichförmigkeit. Jeder nach seinen Fähigkeiten, nach seinen Bedürfnissen –
bedeutet das Gleichheit, Uniformität?
Eine Gesellschaft, die glaubt, dass die
Unfreiheit des Einzelnen der Preis für das Glück vieler ist, ist keine offene
Gesellschaft, sondern eine geschlossene Anstalt. In
einer Wissensgesellschaft geht es darum, etwas besser zu machen, in der
Industriegesellschaft geht es darum, so weiterzumachen wie bisher.
Was geht
euch das an, liebe Republicanerinnen und
Republicaner?
Ist das nicht das Problem der alten Welt?
Glaube ich nicht.
Glaube ich nicht.
Konformismus
und altes Arbeitsdenken, die Industriegesellchaft im Kopf, die gibt es auch
hier drin. Die gibt es auch bei Leuten,
die glauben, sie wären gesellschaftliche Avantgarde. Jeder kennt hier sicher
den Begriff der Generation Praktikum, oder?
Er steht
dafür, dass junge Menschen in der Berufswelt nicht die Chancen vorfinden, die
die Generationen vor ihnen vorfanden. Die Jungen kriegen keinen festen Job. Sie
werden nicht angestellt. Sie werden ihrer Chancen als unselbständig
Erwerbstätige beraubt. Sie können also keine Angestellten werden.
Geradezu
unmenschlich ist das.
Damit wir
uns nicht falsch verstehen: Ausbeutung von Arbeitskraft ist kein Kavaliersdelikt.
Aber es gehören zwei dazu, um eine verrückte Kultur am Leben zu halten. Einer
der am besten ausgebildeten Generationen in diesem Land will nichts weiter
werden als angestellt – Teil der alten Lohn- und Arbeitslogik der
Industriegesellschaft sein.
Wissen und
Kreativität werden nicht dazu genutzt, sich unabhängig zu machen, sich frei und
selbständig zu professionalisieren – das fehlt meistens. Selbständigkeit gilt
als Risiko. Unternehmer wird man höchstens aus Versehen.
Statt into
the Wild geht es weit öfter in die Vollversorgungsmentalität. Wer A sagt, muss
auch B sagen. Wer Wild sagt, muss auch wissen wollen, was nicht wild ist.
Sondern einfach nur halbherzig.
Wer davon
redet, die Verhältnisse zu ändern, sollte bei den eigenen Arbeitsverhältnissen
anfangen – und anfangen, seine eigene Beamtenmentalität auf den Prüfstand zu
stellen. Wer die Verhältnisse ändern will, muss was tun, was machen. Freiheit
und Wissen und das Wilde werden sich nicht trennen lassen.
Ändert das Bewusstsein. Ist es nicht
irre, dass das Existenzziel 2014 immer noch „unselbständig erwerbstätig“ heißt?
Wer von
„Freien“ spricht, meint es meist abwertend. Freie Mitarbeiter, das sind die,
die es nicht zum Angestellten geschafft haben. In der Medienbranche hat das
ungute Tradition. Man muss nicht nach Indien fahren, um ein gut
funktionierendes Kastensystem zu finden.
Vor mehr als
zehn Jahren hat Gerhard Schröder mal eine Wahl gewonnen, weil er den
parteilosen Juristen Paul Kirchhoff „diesen Professor aus Heidelberg“ genannt
hat. Und es war
nicht Heidelberg, das die Wähler in diesem Satz doof fanden. Mit Antiintellektualismus kann man politische
Kasse machen, heute auch.
Und was
heißt hier eigentlich Nerds? Warum werden Wissensarbeiter und Kreative nicht
nur im kulturellen Mainstream belächelt? Warum gelten sie immer noch, wie ich
es in brandeins genannt habe, als Gestörte?
Gestört ist eine Haltung, die auf
Abhängigkeit setzt, auf Bevormundung, auf Unfreiheit, auf Muckis statt auf
Ideen.
Ändert das.
Into the Wild klingt irgendwie nach eigenem Leben. Nach Wissen wollen.
Und nicht
nach Festanstellung.
Vielen Dank.
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